IM GESPRäCH Der CDU-Politiker Willy Wimmer (MdB) über die schleppende Anerkennung des Kosovo, das Ramba-Zamba der Amerikaner und das Erbe vergangener Jahre.
Am 20. Februar hat die Bundesrepublik Deutschland die frühere serbische Provinz Kosovo als eigenständigen Staat anerkannt. Serbien reagierte mit dem Abzug seines Botschafters aus Berlin und sprach von einem fortgesetzten Bruch des Völkerrechts.
FREITAG: Außenminister Steinmeier sagt, es gab zur Anerkennung des Kosovo durch die Bundesregierung keine Alternative. Gab es wirklich keine?
WILLY WIMMER: Die Bundesregierung hat bei der Begründung dieses Schrittes etwas zum Ausdruck gebracht, was ich eine höhere Form von Katzenjammer nennen würde. Sie habe dieses Problem praktisch geerbt …
… von Gerhard Schröder?
Von der Regierung aus SPD und Grünen. Außerdem habe es, hört man, schon 1999 Zusagen für eine kosovarische Unabhängigkeit durch Bill Clinton und seine Außenministerin Albright an die Kosovo-Albaner gegeben. Drittens hätten die Amerikaner nach dem Scheitern der Ahtisaari-Mission (s. Glossar) ein spektakuläres Ramba-Zamba veranstalten wollen. Man habe versucht, durch die Bemühungen des EU-Vermittlers Wolfgang Ischinger die radikale Linie der USA im Interesse der EU etwas abzuschwächen.
Das sind alles keine überzeugenden Argumente, wenn man sich vor Augen hält, wie gering die Zahl der Staaten ist, die bisher die Kosovo-Unabhängigkeit anerkannt haben. Es kann gut sein, dass wir uns mit dem Kosovo eine Art Nordzypern für die NATO eingehandelt haben. Das verheißt alles nichts Gutes.
Sie meinen, gemessen an den Erwartungen, haben bis jetzt eher wenig Staaten eine Anerkennung ausgesprochen.
Man findet bestätigt, was man vorher schon wusste. Die lateinamerikanischen Staaten verweigern sich. Unter Führung Südafrikas sagen die afrikanischen Länder klar nein. In Asien ziehen Indonesien und China nicht mit. Die Russische Föderation ist dagegen. Weltweit wird befürchtet, dass mit der Anerkennung des Kosovo eine gefährliche und weitreichende „Waffe“ aus der Taufe gehoben wurde. Es ist schließlich nicht nur ein mit der Schlussakte von Helsinki anerkannter Grundsatz, der für die meisten Staaten nach wie vor gilt: Die territoriale Unversehrtheit hat Priorität vor dem Selbstbestimmungsrecht. Wenn man dieses Prinzip nun aber mit dem Kosovo auf den Kopf stellt, bedeutet das genau genommen nichts anderes, als die Leute weltweit im Namen des Selbstbestimmungsrechtes gegeneinander aufzuwiegeln. Und zwar überall dort, wo es Konflikte zwischen Völkern und ethnischen Gemeinschaften innerhalb eines Staates gibt. Die vorgenannten Staatengruppen empfinden deshalb für Kosovo keinerlei Sympathie – aus Sorge um sich selbst.
Auch in der EU grassiert keine Euphorie.
Dort ist es aus meiner Sicht ein schlimmes Signal, wenn die Bundesrepublik und andere EU-Staaten Partnern wie Spanien, Rumänien, Zypern oder der Slowakei mit der Kosovo-Anerkennung zu verstehen geben: Für uns sind eure Sicherheitsinteressen nur zweitrangig. Die halten uns nicht davon ab, das Kosovo anzuerkennen. Das ist für Europa verheerend, man trifft mit der Anerkennung Pristinas diese Staaten wirklich ins Mark.
Aber sollten nicht wegen der Vorgeschichte im Kosovo der Schutz staatlicher Integrität und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes zumindest gleichrangig behandelt werden.
Man sollte sich immer fragen, wenn es um Rechtsprinzipien geht, die seit Jahrzehnten – wenn nicht seit Jahrhunderten – für Europa entscheidend waren: Was wird bewirkt, falls man sich von ihnen verabschiedet und Grenzen verändert? Geschieht das durch Verhandlungen, in die alle einbezogen sind, in denen es fair zugeht und die nur dann als abgeschlossen gelten, wenn es unter Einbeziehung aller Parteien einen Konsens gibt – könnte man dagegen nur schwer argumentieren. Wenn man aber eine territoriale Neuordnung wie im Kosovo mit Gewalt durchsetzt, wird die vorhandene Rechtsordnung unterlaufen.
Wir haben schon, als sich die Kosovo-Frage in den neunziger Jahren zuspitzte, von amerikanischen Politikern wie Kissinger und Holbrooke gehört, man gedenke diesen Konfliktfall zu nutzen, um eine europäische Völkerrechtsordnung aufzulösen, wie sie in ihren Grundzügen seit dem Westfälischen Frieden von 1648 existiert hat. Mit dem Kosovo ist das gelungen, denn was dort in strategischer Hinsicht mit der Unabhängigkeit abgesichert wird, ist das politische Vorfeld für die US-Militärbasis Bondsteel. Mit anderen Worten, wir haben es mit einem NATO-Protektorat zu tun. Und es ist schon pikant, in einem solchen Protektorat Botschaften einzurichten.
Ich dachte, man hat es eher mit einem EU-Protektorat zu tun.
Ob das Eine oder das Andere – das sei dahingestellt. Es ist jedenfalls ein Protektorat und wurde bezeichnenderweise von Afghanistan als erstem Staat anerkannt. Spöttische Zungen sagen, das sei verständlich, denn jeden Tag gelange nach Polizeiangaben eine halbe Tonne Heroin aus Afghanistan in das Kosovo. Die sind alles Dinge, die einen Kollegen im Bundestag zu dem verbalen Ausbruch veranlassten, man habe einen Mafia-Staat anerkannt und müsse nun das umsetzen, was Holbrooke und die UÇK uns eingebrockt hätten. Keiner hat ein wirklich gutes Gefühl bei dem, was derzeit im Kosovo geschieht.
Warum hat dann eine Mehrheit in der EU das Kosovo anerkannt, obwohl der Bruch internationalen Rechts doch mit Händen zu greifen ist?
Die Begründung lässt sich dem entnehmen, was die Bundesregierung öffentlich oder halb öffentlich erklärt hat: Hier sind Vorfestlegungen durch die USA schon vor einem Jahrzehnt erfolgt, denen man jetzt gerecht werden will. Dabei hat sich die Hoffnung, mit einer Kosovo-Unabhängigkeit ließe sich alles leichter regeln, bereits als trügerisch erwiesen. Es würde unserer Sicherheit mehr dienen, die Grundsätze von Helsinki hochzuhalten und nicht das Gegenteil zu tun.
Wie bewerten Sie die massiven Proteste in Serbien, besonders die exponierte Rolle von Premier Kostunica? Im Prinzip sagt er im Moment nichts anderes als MilosŠevic´ bei seiner Amselfeld-Rede 1989, die im Westen als Ausdruck eines aggressiven Nationalismus gilt?
Also die Erklärungen, die jetzt auf dem Balkan abgegeben werden, sind vielfältig. Auch Kosovo-Premier Hashim Thaci hat in einem Interview jüngst deutlich gemacht, es handle sich beim Konflikt zwischen Serben und Kosovo-Albanern nicht um eine Auseinandersetzung, die mit der bewussten Amselfeld-Rede von MilosŠevic´ angefangen habe. Es gehe um Antagonismen, die mehr als 100 Jahre alt seien. Die Kosovo-Albaner haben versucht, eine globale politische Situation, wie sie sich mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg ergab, zu ihren Gunsten zu nutzen. Sie haben das im Übrigen auch schon – unter anderen Vorzeichen – in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg getan. Daher glaube ich, dass wir nicht gut beraten sind, uns für diese Konfrontation instrumentalisieren zu lassen – egal ob die Aussagen von Herrn Thaci, Herrn Tadic´ oder Herrn Kostunica kommen. Wenn ich auf dem Balkan befriedend wirken will, muss ich mir mehr einfallen lassen, als den Äußerungen dieser Herren hinterher zu hecheln.
Wo liegt der strategische Sinn der EU-Kosovo-Politik – will man den Balkan für immer als Einflusssphäre halten und damit Russland in die Schranken weisen?
Seit der Anerkennung von Kroatien und Slowenien 1991 und erst recht seit dem Einstieg in den völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg 1999 gibt es keine konsistente EU-Politik auf dem Balkan. Man ist vielmehr Getriebener einer schwankenden Balkan-Politik in Washington, so dass es verfehlt wäre, von einer eigenständigen europäischen Politik zu sprechen. Leider ist dieser unbefriedigende Zustand mit dem Namen des EU-Außenbeauftragten und ehemaligen NATO-Generalsekretärs Solana mehr als verbunden.
Wann sollte die neue Republik Kosovo in die Vereinten Nationen aufgenommen werden?
Das ist überhaupt nicht abzusehen. Wenn es bei den wenigen Staaten bleibt, die das Kosovo anerkennen, haben wir eine Lage, die mit dem türkischen Nordzypern vergleichbar ist, und eine europapolitische Totgeburt erlebt.
Das Gespräch führte Lutz Herden
Willy Wimmer ist seit 1976 Mitglied des Bundestages. Er war von 1988 bis 1992 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, danach von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Derzeit gehört er zum Auswärtigen Ausschuss des Parlaments und ist Stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Wimmer verweigerte Ende 2001 einer Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan seine Zustimmung.
izvor: Freitag; 29.02.2008
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